Urs Leugger-Eggimann ist Naturschützer. Er steht auf der Seite des Wolfs, aber wohl auch irgendwo zwischen den Polen. Denn er sagt: «Mit der Regulierung von Wölfen, die trotz Schutzmassnahmen grosse Schäden anrichten oder sich problematisch verhalten, sind wir einverstanden. Und natürlich müssen wir berücksichtigen, dass dort, wo der Wolf sich ausbreitet, auch Menschen leben und arbeiten.»
Leugger-Eggimann ist Geschäftsführer von Pro Natura. Er will den Wolf weder überhöhen noch verteufeln. «Man muss gerade bei der Wiederausbreitung eines solchen grossen Beutegreifers den Kontext sehen, die Natur im Zusammenspiel.» Das sei beim Wolf, der seit seiner Rückkehr neue Fragen aufwerfe, besonders wichtig. «Wir lernen ständig dazu.» Leugger-Eggimann war als Präsident des Nein-Komitees massgeblich daran beteiligt, dass die Revision des Jagdgesetzes 2020 vom Volk abgelehnt wurde.
Gut ein Jahr später ging es sachlicher zu und her. Offenbar haben alle Beteiligten tatsächlich dazugelernt. Innert nur weniger Monate hat der Bundesrat eine Verordnung ändern lassen und durch die Vernehmlassung gebracht. Das Ziel: die Neuerungen auf den Alpsommer 2021 hin in Kraft zu setzen.
Für Bund und Naturschutzorganisationen der Schlüssel: Schutz durch Zäune und/oder Herdenschutzhunde. Beide Massnahmen werden gefördert und subventioniert, gerissene Nutztiere entschädigt. Während die Bundesbehörden den Herdenschutz als generell gut umsetzbar einschätzen, schlagen besonders die Bergbauern Alarm. Bis zu einem Drittel der Alpwirtschaft seien bedroht. In hohen, humus armen Regionen ist das Aufstellen von Zäunen aufwendig. Und die Arbeit mit Herdenschutzhunden ist kompliziert. Der Aufwand werde, so die Bauern, zu gross.
Am 30. Juni verkündete dann der Bundesrat die neuen Regeln. Neben dem ausgebauten Herdenschutz wurde auch die Regulierung – also das Abschiessen von mehreren Wölfen aus einem Rudel – erleichtert. Urs Leugger-Eggimann von Pro Natura und alle anderen Naturschutzorganisationen trugen diesen gut schweizerischen Kompromiss mit.
Der Mann von Pro Natura anerkennt heute, dass mit der Ausbreitung des Wolfs je nach Situation stärker und schneller reagiert werden müsse. «Besonders bei einem so cleveren Rudel wie dem des Beverin, das wiederholt zumutbare Herdenschutzmassnahmen überwindet.» Ein solches Verhalten sei, sagt Urs Leugger-Eggimann, auch nicht in ihrem Sinn. Er kann darum nachvollziehen, dass das Bundesamt für Umwelt (Bafu) im September entschied, den Abschuss dreier Jungwölfe vom Beverin zu bewilligen.
M92 aber, der Vater, sollte nicht angetastet werden. «Ein Dämpfer», wie die Bündner Behörden danach verlauten liessen. Doch für die Bundesbehörden mangelte es an Nachweisen, konkret: an DNA-Proben, die dem Rüden genügend Risse zuordnen konnten. In zwei Jahren müssen es 60 Prozent der Risse sein. Verletzte Schafe werden nicht gezählt. Rinder und Esel ebenfalls nicht.
Für Urs Leugger-Eggimann von Pro Natura kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. «Bei einem Leitwolf sollte ein Abschuss besonders sorgfältig abgewogen werden und die Ausnahme bleiben. Denn dessen Eliminierung kann ein Rudel auseinanderfallen lassen.» Der Naturschützer spricht davon, dass einzelne herumstreunende Rudelmitglieder allenfalls noch mehr Schaden in der Region anrichten könnten.
Beim Kanton ist man anderer Meinung. Adrian Arquint vom Bündner Amt für Jagd und Fischerei sieht im M92 den Grund allen Übels. Und gleichzeitig die Lösung des Problems am Beverin. Der Leitrüde sei es, der dem Nachwuchs das problematische Verhalten vorlebe, es ihm beibringe.
Was dies bedeutet, weiss die Hirtin. Auch Monate nach jenem Tag im August, als ihr der Wolf begegnete, erinnert sie sich genau an jedes Detail.